Studie: Toleranz in Österreich groß geschrieben – bei Religion scheiden sich die Geister
Presseaussendung 27.04.2015
Österreichweite Studie ermittelte Toleranz gegenüber Homosexualität, Religionen, ethnischer Herkunft und Hautfarbe, Behinderung. – 1.000 Befragte
- Österreicher/innen schätzen sich selbst als sehr tolerant ein – aber bewerten die anderen als intolerant.
- Toleranz gegenüber Homosexualität ist stark entwickelt.
- Ethnische Herkunft und Hautfarbe sind in vielen Lebenssituationen kein Thema (mehr).
- Aber: Mehrheitlich Intoleranz gegenüber anderen Religionen ist vorhanden.
Wien, 27. April 2015 – Anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der Befreiung vom nationalsozialistischen Regime hat das Mauthausen Komitee Österreich erhoben, wie es heute um die Toleranz in unserem Land bestellt ist. "Toleranz ist ein Gradmesser dafür, wie entwickelt eine Gesellschaft ist. Je toleranter Menschen sind, desto weniger sind sie empfänglich für autoritäre Handlungsmuster – und umgekehrt", so der Vorsitzende des Mauthausen Komitees Österreich, Willi Mernyi, zum Hintergrund der Studie. Das Meinungsforschungsinstitut meinungsraum.at hat dazu 1.000 Österreicherinnen und Österreicher zu heiklen Toleranzthemen befragt – gegliedert in die Bereiche Sexualität, ethnische Herkunft und Hautfarbe, Religion, Geschlecht und Behinderung.
Insgesamt stellt die Studie den Österreicherinnen und Österreichern bei Toleranz ein gutes Zeugnis aus: Die Österreicher/innen sind toleranter, als viele Menschen glauben. So hätten beispielsweise drei von vier Landsleuten (72 %) kein Problem damit, wenn eine Frau aus der eigenen Familie einen Schwarzafrikaner heiratet. Ebenso sind Homosexualität und gleichgeschlechtliche Ehe von drei Viertel der Bevölkerung akzeptiert – auch im eigenen Familienkreis. Nur rund ein Viertel der Bevölkerung ist bei vielen dieser Themen eindeutig auf der Seite der Intoleranz.
Einzig beim Thema Religion zeigt sich eine deutliche Mehrheit intolerant – insbesondere gegenüber Muslimen: So hätten etwa zwei Drittel der Österreicher/innen (65 %) ein Problem damit, wenn jemand aus der Familie zum Islam übertreten will.
Eine große Kluft besteht zwischen Selbstbild und Fremdbild: Die Österreicher/innen schätzen sich selbst als sehr tolerant ein (72 %), bewerten die Mehrheit ihrer Landsleute aber als intolerant (60 %).
"Österreich wird toleranter, und das ist eine gute Nachricht. Die Studie zeigt dass die unermüdliche Aufklärungsarbeit vieler Menschen und Institutionen Früchte getragen hat, etwa bei Toleranz gegenüber Homosexualität oder Menschen mit Migrationshintergrund. Aufholbedarf gibt es dagegen noch bei der Toleranz gegenüber den Religionen. In diesem Bereich müssen wir dafür sorgen, dass radikale Strömungen und Diskriminierung keine Chance haben", so Mernyi.
Die Ergebnisse im Detail: Homosexualität wird in Österreich in der Regel toleriert
Die Studienergebnisse zeigen, dass nur 22 Prozent der Österreicher/innen ein Problem damit haben, wenn jemand aus der eigenen Familie sich zur Homosexualität bekennt. Sogar die Ehe von Homosexuellen im eigenen Familienkreis ist gesellschaftlich akzeptiert: Drei von vier Österreicher/innen (77 %) würden sich nicht daran stoßen, wenn eine Frau aus der eigenen Familie eine andere Frau heiratet, 71 Prozent hätten kein Problem damit, wenn ein Mann aus dem eigenen Familienkreis einen anderen Mann heiratet. Auch die Adoption von Kindern durch Homosexuelle ist schon innerhalb der Toleranzgrenze: Eine deutliche Mehrheit (59 %) stört das nicht. Aus aktuellem Anlass wurde auch abgefragt, was die Österreicherinnen und Österreicher darüber denken, wenn sich zwei lesbische Frauen im Lokal küssen: Auch das gehört für rund drei Viertel (72 %) der Österreicher/innen bereits zur Normalität.
Ethnische Herkunft und Hautfarbe in vielen Situationen keine Thema
82 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben kein Problem damit, wenn der Zahnarzt, der sie behandeln soll, Schwarzafrikaner wäre. Ebenso sehen es etwa mehr als drei Viertel der heimischen Bevölkerung (79 %) gelassen, wenn sie im Spital von einem Arzt türkischer Herkunft operiert würden. Studienleiterin von meinungsraum.at Christina Matzka: "Ein interessanter Aspekt ist, dass hier auch über 80 Prozent der Generation 60 plus kein Problem damit haben, von einem Zahnarzt mit schwarzafrikanischen Wurzeln (83 %) oder Arzt mit türkischer Herkunft (82 %) behandelt zu werden."
Knapp drei Viertel der Befragten in Österreich (73 %) haben auch kein Problem damit, von einem Araber ein Gebrauchtauto zu kaufen und mehr als die Hälfte (58 %) stört es nicht, wenn die Verkäuferin im Geschäft ein Kopftuch trägt.
Österreichs Toleranzgrenze verläuft beim Thema Religion
Die größten Probleme haben die Österreicher/innen mit der Religionsausübung anderer Menschen: So finden es mehr als die Hälfte (65 %) problematisch, wenn jemand aus der Familie zum Islam übertreten will, ebenso würde es 64 Prozent stören, wenn in der Nachbarschaft eine Moschee gebaut würde. "Hier fließen natürlich die aktuellen Konflikte um radikale Islamisten ein", erklärt Studienleiterin Christina Matzka von meinungsraum.at. Intoleranz ist aber auch gegenüber anderen Religionen vorhanden: So hätten 4 von 10 Österreicher/innen (42 %) ein Problem mit der Errichtung eines Buddhistischen Zentrums in der Nachbarschaft. Dazu der MKÖ-Vorsitzende Willi Mernyi: "Wir orten in Österreich eine massiv negative Stimmung gegenüber einzelnen Religionen. Das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung, der man mit Maßnahmen entgegentreten muss. Hier hat Österreich definitiv Aufholbedarf."
Geschlecht und Behinderung in Toleranz-Fragen nicht (mehr) relevant
Absolut eindeutig fielen die Antworten zu den Themen Geschlecht und Behinderung aus: 94 Prozent in Österreich stört es nicht, wenn sie in der Schule oder in der Arbeit eine Kollegin oder einen Kollegen im Rollstuhl bekommen würden. Und 90 Prozent sowohl der Frauen als auch der Männer in Österreich haben kein Problem damit, eine Frau als Chefin zu bekommen. Dazu Christina Matzka: "Bei diesem Thema sieht man, dass viele Aufklärungskampagnen und gute Vorbilder gegriffen haben und – zumindest in den Köpfen der Menschen – die volle Akzeptanz von Menschen mit Beeinträchtigungen sowie Gleichstellung der Frauen immer mehr zur Selbstverständlichkeit geworden sind."
Junge und Frauen sind toleranter als Männer mittleren Alters
Frauen sind signifikant toleranter als Männer bei allen abgefragten Themen, auch beim Kopftuch. Besonders junge Menschen (14 bis 29 Jahre) und Pensionist/innen (60 plus) zeichnen sich in einigen Bereichen durch hohe Toleranz aus. Eine Ausnahme bei den älteren Menschen ist die Homosexualität: Hier sind ältere Menschen intoleranter als der Durchschnitt.
Berufstätige Männer sind deutlich intoleranter als der Durchschnitt. Christina Matzka führt dieses Denken auf die Lebensumstände, in denen sich die Menschen befinden, zurück: "Wer im Berufsleben gestresst ist, Angst vor Arbeitsplatzverlust hat und unter Druck steht, der ist häufig intoleranter. Junge dagegen sind aufgeschlossener und unbekümmerter, Pensionisten bereits entspannter und gelassener."
Studie "Toleranz in Österreich – eine Bestandsaufnahme"
Zur Ermittlung der Toleranzgrenze wurden mehrere gesellschaftliche Bereiche untersucht, in denen Toleranz ein Thema ist: Homosexualität, Hautfarbe und ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion sowie Behinderung. 1.000 Österreicherinnen und Österreicher wurden repräsentativ für die Gesamtbevölkerung befragt. Die Umfrage wurde von meinungsraum.at im Auftrag des Mauthausen Komitees im April 2015 durchgeführt.